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Wirtin in Clärchens Ballhaus: „Das Ende der DDR habe ich nur kulinarisch als Befreiung erlebt“

Wirtin in Clärchens Ballhaus: „Das Ende der DDR habe ich nur kulinarisch als Befreiung erlebt“

Sähe er nicht so modisch aus – man könnte Claudia Steinbauers Overall fast für einen Blaumann halten. Aus sichtlich robustem Material gefertigt, mit Reißverschluss und Pattentaschen, die Ärmel hochgekrempelt, praktisch, bereit für den Einsatz, ready to go.

So sitzt Steinbauer, als wir sie an einem sonnigen Maitag in Clärchens Ballhaus treffen, im Halbschatten des schönen Innenhofs, flankiert von drei hörbar engagierten Kolleginnen aus dem Presseteam. Eine große Veranstaltung muss geplant werden und fast überschlagen sich dabei die Stimmen. „Wo genau soll der Kaviar hin?“, will eine wissen, „200 Shot-Gläser und 200 Gläser für Espresso-Martini“, zählt eine andere auf – und vor allem: „Wir brauchen noch Eis! Eis, Eis, Eis, Eis!“

Es ist einer der ersten warmen Tage des Jahres, und bevor sie sich mit uns für ein Gespräch zusammensetzen kann, bittet Claudia Steinbauer um etwas Geduld. „Ein paar Minuten noch“, sagt sie mit milder Stimme, während die Sonne hübsche Muster auf den Gartentisch wirft, bedeckt mit einem Wust aus aufgeklappten MacBooks und ausgedruckten DIN-A4-Blättern.

Jetzt auch draußen: Am Tag unseres Besuchs wird der Biergarten eröffnet.
Jetzt auch draußen: Am Tag unseres Besuchs wird der Biergarten eröffnet.Daniel Rodríguez

Wir haben einen besonders arbeitsreichen Tag erwischt: Zum ersten Mal soll am Abend Clärchens Biergarten eröffnet werden. Nicht bloß zum ersten Mal in dieser Saison allerdings, sondern überhaupt zum ersten Mal, seit das Ballhaus gastronomisch neu bespielt wird. Im September erst wurde Luna D’Oro eröffnet, das neue Restaurant im Erdgeschoss, in dem Küchenchef Tobias Beck nun eine moderne deutsche Küche kreiert. Claudia Steinbauer galt da schon längst als „Seele des Hauses“ – seit fünf Jahren ist sie Hauptgeschäftsführerin, die Wirtin.

Vorne standen die Leute jeden Tag Schlange, hinten haben russische Hausfrauen Pizzen im Akkord belegt.

Claudia Steinbauer

Der umtriebige Berliner Investor Yoram Roth hatte das legendäre Haus 2018 gekauft, es 2024 aufwendig renovieren und schließlich Luna D’Oro mit Steinbauer als Restaurantleiterin eröffnen lassen. Doch Clärchens Ballhaus, Luna D’oro, Yoram Roth – das sind ja nur die vergangenen paar Jahre ihrer Karriere, die mit einigen der imposantesten Namen der deutschen Gastronomie-Landschaft gespickt ist. Wir aber wollen unser Gespräch, als wir uns endlich auf einen verwinkelten Holzbalkon hinter dem sagenumwobenen Spiegelsaal zurückgezogen haben, vorne anfangen, ganz vorne.

1972 in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz geboren, hatte Steinbauer eigentlich Journalismus in Berlin studieren wollen. „Schreibend die Welt verbessern“ – das sei damals ihr mit viel jugendlichem Verve formulierter Traum gewesen. Doch wie so vielen jungen Menschen im Osten kam auch Claudia Steinbauer die Wende dazwischen: Ihr geplantes Volontariat bei dem DDR-Radiosender DT64 in der Nalepastraße konnte sie nicht mehr antreten, „weil es den von heute auf morgen einfach nicht mehr gab.“

Wie im Film: Die Ausstattung des Luna D’Oro wurde vom Berliner Szenenbildner Uli Hanisch ausgearbeitet.
Wie im Film: Die Ausstattung des Luna D’Oro wurde vom Berliner Szenenbildner Uli Hanisch ausgearbeitet.Daniel Rodríguez

Während für ihre Eltern, die Steinbauer als sehr überzeugt von den sozialistischen Ideen der Deutschen Demokratischen Republik beschreibt, damals ohnehin eine Welt zusammengebrochen sei, habe auch die Tochter, ratlos angesichts der rasenden Veränderungen, das Ende der DDR „erstmal ganz und gar nicht als Befreiung“ erleben können – „außer kulinarisch!“

Ich bin erstmal lustig durch den Westen gefahren, ohne so genau zu wissen, wo ich eigentlich bin und wo ich hinwill.

Claudia Steinbauer

Denn ihr erster Aushilfsjob in der Gastronomie führte Steinbauer als Kellnerin in die erste Pizzeria, die in Karl-Marx-Stadt nach dem Mauerfall eröffnet wurde. „Vorne standen die Leute jeden Tag Schlange, hinten haben russische Hausfrauen Pizzen im Akkord belegt, es ging gar nicht anders, als dass ich gleich vier riesige Teller auf einmal heraustragen musste.“ Zu viel war das für die junge Abiturientin keineswegs, im Gegenteil: So wie sie in die neue Aufgabe hineingestolpert war, so schnell konnte sie sich für das wilde Treiben zwischen Küche und Tischen begeistern.

Fortan sollte das also ihre Karriere sein: das professionelle Gastgeben. Auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz zur Hotelfachfrau sei sie „lustig durch den Westen gefahren, ohne so genau zu wissen, wo ich eigentlich bin und wo ich hinwill.“ Eine Stelle fand sie schließlich im südwestfälischen Siegerland, auch über Kontakte des Vaters. Der neue Lebensplan, der neue Traum sollte sich als Volltreffer erweisen: Über eine Begabtenförderung konnte Claudia Steinbauer zwischenzeitlich in Australien und in Kanada auf die Schule gehen, „um dort besseres Englisch zu lernen.“

Früh übt sich: Schon während des Abiturs arbeitete sie in der Gastronomie.
Früh übt sich: Schon während des Abiturs arbeitete sie in der Gastronomie.Daniel Rodríguez

Von ihren frühen Jobs allerdings sei besonders eine Anstellung in Bern prägend gewesen, erzählt sie und lehnt sich auf dem Bistrostuhl zurück, den knarzigen Dielenboden unter ihren Füßen, ein Geflecht aus Holzbalken und laubreichen Ästen über dem Kopf. Während man dem „Mädchen aus dem Osten“ im westdeutschen Hotel noch skeptisch begegnet sei, so sagt sie, habe man sie in der Schweiz nur noch als Deutsche wahrgenommen – so wie alle anderen Kolleginnen und Kollegen aus ihrer Heimat.

Die Schweizer haben uns wenigstens alle gleich behandelt, egal, ob wir aus dem Osten oder aus dem Westen kamen.

Claudia Steinbauer

„Die Schweizer haben uns zwar nicht gerade mit offenen Herzen empfangen, aber sie haben uns wenigstens alle gleich behandelt, egal, ob wir aus dem Osten oder aus dem Westen kamen“, so Steinbauer. Ende der 1990er folgten für sie Anstellungen im neueröffneten Taschenbergpalais in Dresden und im Four Seasons in Berlin, dem späteren Fünfsternehotel Regent am Gendarmenmarkt.

In Berlin war es auch, wo sich für die gebürtige Sächsin die nächste große Veränderung anbahnte: Sie hatte sich in einen Mann verliebt, der kurz nach ihrem Kennenlernen für seinen Job nach Südafrika übersiedeln musste. Dort besuchte Steinbauer ihren Freund – und kehrte schwanger von der Reise zurück. Nach diesem ersten Kind, einer Tochter, kam ein Sohn, der gleich in Südafrika geboren wurde. Dort lebte die kleine Familie für ein paar Jahre, bis Steinbauers damaliger Mann seine Tätigkeit beendete.

Immer gut gepflegt: Um die Pflanzen rund ums Ballhaus kümmert sich Claudia Steinbauer am liebsten selbst.
Immer gut gepflegt: Um die Pflanzen rund ums Ballhaus kümmert sich Claudia Steinbauer am liebsten selbst.Daniel Rodríguez

„Als wir zurückgekommen waren, stellte sich schnell heraus, dass ich eine Laufbahn in der Hotellerie einfach nicht weiterverfolgen konnte“, sagt sie. Ein Betrieb, der 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche in Schichtdiensten am Laufen gehalten wird – das habe sich mit zwei kleinen Kindern einfach nicht mehr machen lassen. Also entschied sich Steinbauer für einen Wechsel in die kaum weniger stressige Gastronomie, in der es aber wenigstens Schließzeiten gibt.

Die Stadt galt plötzlich als cool, aber die Pasta in dem Laden, in dem ich damals gearbeitet habe, kostete trotzdem nur 3,50.

Claudia Steinbauer

Die ersten Jahre des neuen Jahrtausends in Berlin beschreibt Steinbauer als wilde, aufregende, als erfüllende Zeit. „Die Stadt galt plötzlich auch unter ausländischen Touristen als cool, es gab die ersten großen Mode- und Kunstveranstaltungen, aber die Pasta in dem Laden, in dem ich damals gearbeitet habe, kostete trotzdem nur 3,50.“ Ein kleiner Italiener war das, der Vorgänger vom heutigen Papà Pane in der Ackerstraße.

Von dort aus wechselte Steinbauer erst ins Borchardt, dann ins Grill Royal, schließlich ins Adlon, in verschiedenen, immer höheren Positionen. In Berlins bekanntestem Luxushotel habe sie sich mit zwei Kollegen besonders gut verstanden – so sehr, dass die drei einen gemeinsamen Plan schmiedeten: Im Mai 2019 eröffneten sie das Restaurant Klinker in Hamburg, zu dem auch ein Demeter-Hof gehört.

Eine echte Legende: Im Spiegelsaal werden weiterhin Tanzkurse angeboten.
Eine echte Legende: Im Spiegelsaal werden weiterhin Tanzkurse angeboten.Daniel Rodríguez

„Das hat super funktioniert, und Klinker läuft immer noch wie verrückt“, sagt Steinbauer, und fast scheint es, als lege sich Nostalgie über ihre Stimme. Doch ein Angebot aus Berlin war damals einfach viel zu gut, um es nicht anzunehmen: „Als ich gehört habe, für Clärchens Ballhaus würde eine neue Wirtin gesucht, war ich gleich angefixt. Nicht nur, weil ich immer gerne in Berlin gewohnt habe, sondern vor allem, weil ich die Möglichkeit, einen solchen Laden zu leiten, wahnsinnig spannend fand.“

Dort eine ordentliche Struktur reinzubringen und trotzdem immer ein bisschen auf dem Vulkan zu tanzen, hat mich unheimlich gereizt.

Claudia Steinbauer

Dem Ballhaus hätte damals die Zuwendung gefehlt, sagt Steinbauer. „Eine meiner ersten Amtshandlungen war, wieder frische Blumen auf die Tische und ein paar Lampen auf die Tresen zu stellen – der Laden brauchte dringend Liebe.“ Doch das Chaos, das sie hier und dort in dem dreistöckigen Altbauhaus vorgefunden hatte, habe ihr letztlich gefallen. „Dort eine ordentliche Struktur reinzubringen und wegen der Größe und der Geschichte dieses Hauses trotzdem immer ein bisschen auf dem Vulkan zu tanzen, hat mich unheimlich gereizt.“

1913 im Hinterhaus der Auguststraße 24/25 eröffnet, hat das Ballhaus mehrere politische Systeme und zwei Weltkriege überlebt – gegessen und getanzt wurde hier mitunter zwischen Trümmern. Dass der Betrieb fast nahtlos immer weiterlief, dürfte vor allem an der straffen Organisation der namensgebenden Wirtin Clara Bühler gelegen haben, die das Ballhaus nach dem Tod ihres Mannes mehrere Jahrzehnte als echte Weiberwirtschaft führte.

Haus mit Geschichte: Das Tanzlokal an der Auguststraße hat Kriege und mehrere Systemwechsel überlebt.
Haus mit Geschichte: Das Tanzlokal an der Auguststraße hat Kriege und mehrere Systemwechsel überlebt.Daniel Rodríguez

Clärchen und Claudia, Claudia und Clärchen – leicht ließe sich eine Brücke schlagen zwischen den Frauen, die ihrerzeit beide als „Seele des Hauses“ galten, die eine früher, die andere jetzt. Doch Claudia Steinbauer winkt bloß ab. „Clärchen hat unter ganz anderen Bedingungen, mit anderen Herausforderungen und Verantwortungen gearbeitet“, sagt sie. „Ich fände es vermessen, das mit meiner Tätigkeit heute zu vergleichen.“

Dieser Teil der Geschichte des Hauses ist ein bisschen unterbelichtet geblieben, und ich hoffe, dass das irgendwann jemand aufarbeitet.

Claudia Steinbauer

Wie Clara Bühler das Ballhaus während der DDR-Zeit weiterführte, interessiere sie besonders. „Dieser Teil der Geschichte des Hauses ist ein bisschen unterbelichtet geblieben, und ich hoffe, dass das irgendwann mal jemand richtig aufarbeitet.“ Betagtere Gäste lieferten wenigstens gelegentlich kleine Anekdoten.

Neulich habe ihr jemand erzählt, dass man in den Siebzigern vor lauter Zigarettenqualm eigentlich gar nichts von dem berühmten Lametta sehen konnte, das früher noch im Tanzsaal hing. Zwischen den Foxtrott-Runden hätten die Leute Bockwurst und Kartoffelsalat bestellt, die sie sich – durch den dicken Qualm tapernd – aus der Küchendurchreiche selbst abholten. Und: „Es heißt immer wieder, Clärchen hätte ihr Ballhaus mit harter Hand geführt.“

Mit Berliner Luft: Auch der Barbereich wurde zuletzt ganz neu gestaltet.
Mit Berliner Luft: Auch der Barbereich wurde zuletzt ganz neu gestaltet.Daniel Rodríguez

Die Frage, ob sich auch das nicht mit ihrer Arbeit heute vergleichen ließe, quittiert Claudia Steinbauer mit einem kühnen Lächeln. „Doch, doch“, sagt sie. „Ich glaube, meine Kollegen würden auf alle Fälle sagen, dass ich eine gewisse Strenge habe, aber dass man auf meine Unterstützung immer zählen kann.“ 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählen heute zu Steinbauers Team.

Doch die Chefin packt auch selbst ordentlich mit an, gerade an den Wochenenden. Da delegiert sie nicht nur, sondern baut mit auf, deckt die Tische ein, bereitet alles auf die Gäste vor. „Und was ich mir gar nicht nehmen lasse, ist das Blumengießen“, sagt Steinbauer.

„Morgens als erste hier zu sein und ganz in Ruhe durch die Innenhöfe zu spazieren, das ist für mich ein großes Glück.“ Das Schönste aber bleibe für sie, die Wirtin, das Gästebegrüßen, das Dasein, die Übersicht zu behalten. „Ich bin Gastgeberin“, sagt Claudia Steinbauer, „durch und durch.“

Berliner-zeitung

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